Der Evangelist Lukas berichtet in den Versen 19 bis 31 des 16. Kapitels eine Begebenheit, die vielen Bibellesern unter der Überschrift „Der reiche Mann und der arme Lazarus“ bekannt ist.
Die Lage des Lazarus war wirklich zum Weinen: Mit Geschwüren behaftet, an denen Hunde leckten, lag der Arme bettelnd an dem Torweg, der zum Haus des reichen Mannes führte. Hin und wieder bekam er etwas zu essen von dem, was auf dessen Tisch übrig geblieben war. Wie elend mag er sich gefühlt haben.
Der reiche Mann dagegen hatte alles im Überfluss: „Er kleidete sich in Purpur und feines Leinentuch und lebte alle Tage fröhlich und in Prunk.“ Aber um Gott kümmerte er sich nicht. Wofür brauchte er Ihn auch? Nichts mangelte ihm – er war mit sich selbst zufrieden.
Eines Tages starben sowohl Lazarus als auch der reiche Mann.
Von dem Reichen wird ausdrücklich gesagt, dass er begraben wurde. Wir können uns vorstellen, wie viele anerkennende Lobreden von den Angesehenen der Stadt an seinem Grab gehalten wurden. Von dem Begräbnis des armen Lazarus lesen wir hingegen gar nichts.
Und was geschah nach ihrem Tod? Menschen versuchen in ihrer Neugierde immer wieder, über Horoskope oder Wahrsagerei etwas über die Zukunft zu erfahren. Seinem irdischen Volk hatte Gott dies strikt verboten (s. 5. Mo 18,10). Muss angesichts des satanischen Ursprungs dieser Praktiken noch erwähnt werden, dass wir uns als Christen auch davon fernhalten müssen? In unserem biblischen Bericht hebt jedoch Gott selbst den Vorhang ein wenig und wir erfahren, was danach geschieht:
Der reiche Mann schlug im Hades seine Augen auf und befand sich am „Ort der Qual“. Er litt „Pein in dieser Flamme“. Kein Trost und keine Aussicht auf Änderung seiner Lage. Es ist zudem von einer befestigten großen Kluft die Rede, die ihn von dem Paradies Gottes trennte und die für immer unüberbrückbar ist.
Jetzt war ihm klar geworden, dass man zu Lebzeiten auf der Erde Buße tun muss, um nicht an diesen schrecklichen Ort der Qual zu kommen. Er bat, dass jemand zu seinen fünf Brüdern geschickt würde, „damit er sie dringend warne …“
Lazarus dagegen wurde „von den Engeln in den Schoß Abrahams getragen“, an den Ort der Glückseligkeit. Die Engel, als „dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die die Errettung erben sollen“ (Heb 1,14), taten ihr Werk.
Der Schoß Abrahams redet bildlich von Geborgenheit und Ruhe. Wir freuen uns, von dem Armen zu lesen: „… jetzt aber wird er hier getröstet“. Ja, Gott selbst wird jede Träne von unseren Augen abwischen, wenn wir bei Ihm sind (s. Off 21,4).
Lazarus bekam nicht wegen seiner Armut einen Platz im Paradies, sondern weil er eine lebendige Beziehung zu Gott hatte. Der biblische Bericht sagt das zwar nicht ausdrücklich, es ergibt sich aber indirekt aus dem, was dem reichen Mann in Vers 31 dieser Begebenheit mitgeteilt wird. Heute würden wir sagen, dass Lazarus Buße getan hat. Buße zu tun heißt, sich als Sünder zu erkennen, seine Schuld zu bekennen und sich selbst zu verurteilen als einer, der nicht in Gottes heilige Gegenwart passt.
Aber wir wissen auch: Gott hat zu allen Zeiten ein Herz für die Armen, für die Geringen. Ihnen gelten besondere Verheißungen. So hebt der Schreiber Jakobus hervor, dass Gott „die weltlich Armen auserwählt [hat], reich zu sein im Glauben, und zu Erben des Reiches, das er denen verheißen hat, die ihn lieben“ (Jak 2,5).
Alle im Herrn Entschlafenen sind auch an diesem Ort der Glückseligkeit. Bei ihrem Heimgang wurden Seele und Geist ebenfalls von Engeln in das Paradies Gottes getragen – welch ein Wechsel! Erst das Leben hier auf der Erde – oft auch in notvollen Umständen, vielleicht ein langes Krankenlager – und dann „die selige Ruhe bei Jesus im Licht“.
Der Herr Jesus versicherte dem Räuber am Kreuz, der sich im letzten Augenblick bekehrte: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). Das macht das Paradies aus: Der Herr Jesus ist dort.
Er nimmt die Entschlafenen gewissermaßen in Empfang. Und weil Er dort ist, hatte Paulus Lust „abzuscheiden und bei Christus zu sein, denn es ist weit besser“ (Phil 1,23). Schon zu Lebzeiten genoss der Apostel eine besondere Gemeinschaft mit seinem Herrn, aber dann, bei Ihm, wird das in unvergleichlich höherem Maß der Fall sein.
Sein Wissen über das Paradies hatte Paulus aus eigenem Erleben! Er war in den dritten Himmel entrückt worden und hatte dort unaussprechliche Worte gehört, die ein Mensch nicht sagen darf (s. 2. Kor 12,4). Die Offenbarungen, die er dort empfing, waren so gewaltig, dass Gott ihm daraufhin „einen Dorn für das Fleisch“ geben musste, damit er nicht hochmütig wurde (s. 2. Kor 12,7).
Schließlich schreibt der Apostel von dem „schnell vorübergehenden Leichten unserer Trübsal“, der ein „über jedes Maß hinausgehendes, ewiges Gewicht von Herrlichkeit“ folgt (s. 2. Kor 4,17). Und im Brief an die Römer tröstet er mit den Worten: „Denn ich halte dafür, dass die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll“ (Röm 8,18).
Zwischen dem Ort, an dem der reiche Mann ankam und dem Ort, an dem Lazarus nach dem Tod war, bestand eine große Kluft. Aber eine Kluft besteht auch im Diesseits zwischen jedem unbekehrten Menschen und dem heiligen Gott. Gute Werke oder religiöse Übungen können sie nicht überbrücken. Der Herr Jesus, der Sohn Gottes, hat durch sein stellvertretendes Opfer am Kreuz von Golgatha die Brücke geschlagen (s. 1. Tim 2,5.6). Jedem Glaubenden schenkt Er ewiges Leben: Jeder, der „den Sohn hat, hat das Leben“ (1. Joh 5,12) und kann freudig in die Worte des Dichters einstimmen:
„O hohes Glück, vor Gott zu stehn;
o Freude, Jesu, Dich zu seh’n,
an Dir sich stets zu weiden;
zu sehen Dich in Deinem Licht
von Angesicht zu Angesicht,
und nie von Dir zu scheiden.
Der Seligkeiten, Gott so viel!
Der Freuden ohne Maß und Ziel,
hoch über alles Sehnen!
O Herrlichkeit in Ewigkeit;
was ist das Leiden dieser Zeit!
Wie nichts sind alle Tränen!“
Diese Worte des Herrn Jesus in Lukas 16 erklären uns, dass es am Aufenthaltsort von Seele und Geist der Gestorbenen zwei Bereiche bzw. Abteilungen gibt. Das war im Alten Testament noch nicht bekannt. Dort lesen wir oft vom „Scheol“. Das ist der Aufenthaltsort von Seele und Geist der Gestorbenen insgesamt. Das Wort „Scheol“ ist im Neuen Testament übersetzt mit „Hades“. Auch dieses Wort gilt allgemein: Seele und Geist sowohl von Gläubigen als auch von Ungläubigen befinden sich nach dem Tod im Hades. Selbst vom Herrn Jesus wird gesagt, dass Er im Hades war (s. Apg 2,31). In Lukas 16 erfahren wir, dass es im Totenreich („Scheol“ bzw. „Hades“) einen Bereich für die Ungläubigen gibt. Dieser Bereich ist ein Ort schrecklicher Qual. Aber es gibt auch einen Bereich für die Gläubigen, und das ist ein Ort großer Glückseligkeit. Beide Bereiche sind durch eine unüberwindbare Kluft voneinander getrennt.
Friedhelm Müller
„Guten Tag, mein lieber Freund“, begrüßte Ernst einen lieben Freund, den er länger nicht gesehen hatte. „Wie geht es dir?“, erkundigte er sich. Der Gefragte schilderte ihm sein Leid in vielen Worten. Er hatte noch zwei Jahre Berufsleben vor sich und das Arbeiten fiel ihm durch gesundheitliche Probleme zunehmend schwerer. „Da wird einem das Älterwerden schon etwas sauer“, beendete er seinen Bericht. Ernst überlegte, wie er ein wenig Trost spenden könnte. Da fiel ihm ein Wort aus dem Propheten Jesaja ein: Und bis in euer Greisenalter bin ich derselbe, und bis zu eurem grauen Haar werde ich euch tragen; ich habe es getan, und ich werde heben, und ich werde tragen und erretten (Jes 46, 4). „Es ist doch eine Gnade, dass wir uns in allen Lagen auf unseren Herrn Jesus Christus stützen dürfen, und dass Er immer für uns sorgen wird, so wie es gut für uns ist“, fügte er hinzu. Doch was Ernst auch aus Gottes Wort zum Trost zitierte, mit nichts konnte er den Freund ermuntern, so niedergedrückt war seine Seele.
„Zeig mir doch einmal deine Bibel“, bat er schließlich den Freund. „Meine Bibel?“, fragte der Freund erstaunt. „Ja“, erwiderte Ernst, „mir scheint, in dein Exemplar hat sich ein Druckfehler eingeschlichen.“ „Ein Druckfehler in meiner Bibel, das kann doch nicht sein!“ „Doch, doch, anders kann ich es mir nicht erklären.“ Kopfschüttelnd reichte der Freund Ernst seine Bibel. Der blätterte einen Moment, bis er die gesuchte Stelle gefunden hatte. Er tippte mit dem Finger auf die Stelle und forderte den Freund auf, laut zu lesen. „Keiner wird zu Schanden, der auf dich harrt“[1], las der Freund und sah sein Gegenüber fragend an. „Aber das stimmt doch, so haben wir es doch schon als Kinder gelernt.“ „Und schon oft haben wir erlebt, wie der Herr uns getragen hat“, bestätigte Ernst. „Aber wie ich dich so reden hörte, ging mir auf, dass der Vers so nicht richtig wiedergegeben sein kann. Das „K“ ist zu viel. Es muss gewiss heißen ‚Einer wird zu Schanden‘. Und dieser eine bist du, mein lieber Freund. Wie bedauere ich dich deshalb“, schloss Ernst. Diese Worte durchbrachen den Panzer der Niedergeschlagenheit. Jetzt konnte sich der Freund wieder von Herzen seinem Herrn und Heiland anvertrauen und seinen Weg getröstet und in Freuden weitergehen.
"Auch werden alle, die auf dich harren, nicht beschämt werden."
Fußnoten: