Konflikte gibt es, solange es Menschen gibt. Als Konflikt bezeichnen wir eine schwierige Situation infolge des Aufeinanderprallens unterschiedlicher Interessen, Forderungen oder Meinungen.
Weil durch den Sündenfall des ersten Menschenpaares die Sünde in die Welt gekommen ist, sind auch Konflikte eine Folge davon (s. Röm 5,12). Vor dem Sündenfall herrschten vollkommene Harmonie und Liebe. Aber das veränderte sich nach dem Sündenfall grundlegend: Die gefallenen Menschen wurden missgünstig und bösartig (s. 1. Mo 6,5).
Konflikte sind keine angenehmen Situationen in unserem Alltag. Auch wir Christen sind ihnen immer wieder ausgesetzt. Wie gehen wir damit um?
In Gottes Wort finden wir Begebenheiten, die uns Grundsätze für den Umgang mit Konflikten zeigen. Im Folgenden möchten wir uns deshalb einmal mit zwei aufschlussreichen Begebenheiten näher beschäftigen.
Abraham wohnte zwischen Bethel und Ai bei der Stätte des Altars (s. 1. Mo 13,3). Er war sehr reich an Vieh, Silber und Gold (s. V. 2). Auch Lot, der mit Abraham zog, war nicht unvermögend: Er hatte Kleinvieh und Rinder (s. V. 5). Beide waren zu Wohlstand gekommen. Ihre Habe war groß, aber der Wohnraum begrenzt.
Die Folge davon war Zank zwischen den Viehhirten Abrahams und Lots.
Das konnte so nicht bleiben! Welch ein Bild gaben sie damit unter den Kanaanitern und den Perisitern ab, die damals im Land wohnten!
Schauen wir uns die einzelnen Schritte zur Konfliktlösung etwas genauer an.
Es ist Abraham als der Ältere (und Weisere), der die Initiative zum Gespräch ergreift.
Der Vorzug an Alter und der damit verbundenen Selbsterkenntnis, lässt Abraham Lot gegenüber langmütig sein. Die Einsicht eines Menschen [über sich selbst] macht ihn langmütig, und sein Ruhm ist es, Vergehungen zu übersehen“ (Spr 19,11).
Abraham geht auf Lot zu und spricht den Konflikt offen an: „Da sprach Abram zu Lot: Lass doch kein Gezänk sein zwischen mir und dir und zwischen meinen Hirten und deinen Hirten; denn wir sind Brüder!“ (1. Mo 13,8).
Abraham erhebt warnend seine Stimme wegen der möglichen Folgen des Streits. Er ist sich im Klaren darüber: Der Streit der Hirten würde auch das Verhältnis zwischen ihm und Lot trüben, deshalb mahnt er: „Lass doch kein Gezänk sein zwischen mir und dir …“.
In Weisheit betont er zunächst das Verbindende und sagt: „Wir sind Brüder!“ – obwohl Lot sein Neffe war, der Sohn seines Bruders Haran (s. 1. Mo 11,31).
Abraham gibt uns ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig im Konflikt Besonnenheit ist. Denn: „… die Zunge der Weisen ist Heilung“. Aber: „Da ist jemand, der unbesonnene Worte redet gleich Schwertstichen“ (s. Spr 12,18).
Es ist auffallend, wie sehr er versucht, die Situation möglichst objektiv darzustellen: Er bleibt ruhig und besonnen, reagiert nicht emotional. Er macht Lot keine Vorwürfe, keine aggressiven Äußerungen kommen über seine Lippen.
Selbstlos fragt Abraham den jüngeren Lot: „Ist nicht das ganz Land vor dir?“ Und dann macht er ihm einen Lösungsvorschlag. Er unterbreitet Lot zwei Möglichkeiten und überlässt ihm die Wahl: „Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich mich zur Rechten wenden, und willst du zur Rechten, so will ich mich zur Linken wenden“ (V. 9). Dabei ist Abraham auch bereit, Nachteile in Kauf zu nehmen.
Wir alle haben wohl mehr oder weniger in dieser Hinsicht zu lernen!
Manchmal müssen auch wir Benachteiligungen in Kauf nehmen, indem wir die eigenen Interessen zurückstellen und einlenken – um des Friedens willen auf etwas verzichten. Die Ermahnung ist immer noch aktuell: „Warum lasst ihr euch nicht lieber unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht lieber übervorteilen?“ (1. Kor 6,7).
In uns selbst haben wir nicht die Weisheit zu einem jederzeit besonnen Reden und Handeln.
Der Herr Jesus ist uns auch darin Vorbild. Er suchte niemals seinen Vorteil, verzichtete auf eigene Rechte und „übergab sich dem, der gerecht richtet“ (1. Pet 2,23).
Und Lot – wie verhält er sich? Eigentlich hätte es ihm als dem Jüngeren gut gestanden, seinem Onkel Abraham die Wahl zu überlassen.
Aber hat Lot wirklich das bessere Los gezogen? Nur dem äußeren Anschein nach. Sein Weg ging moralisch Schritt für Schritt bergab: „Lot wohnte in den Städten der Ebene – er schlug seine Zelte auf bis Sodom“, deren Bewohner große Sünder vor dem Herrn waren! Schließlich wohnt Lot in Sodom und zuletzt finden wir ihn im „Tor Sodoms“; er hatte einen Sitz im Rat dieser gottlosen Stadt (s. Kap. 13,12.13; 14,12; 19,1).
Armer Lot: Er quälte Tag für Tag seine gerechte Seele mit dem, was er sah und hörte (s. 2. Pet 2,7.8).
Abraham ist gegenüber seinem Neffen Lot nicht nachtragend. Im Gegenteil: Als Lot durch kriegerische Auseinandersetzungen in Not gerät, eilt Abraham ihm sofort zu Hilfe: „Und als Abram hörte, dass sein Bruder (!) gefangen weggeführt worden war, ließ er seine Geübten, seine Hausgeborenen, ausrücken, 318 Mann, und jagte ihnen nach bis Dan …“ – und befreite ihn und seine Habe (Kap. 14,14-16). Vorbildlich ist Abrahams Fürbitte vor dem Herrn um die Verschonung Lots und seiner Familie vor dem Gericht über die Städte Sodom und Gomorra (s. Kap. 18,22-33).
„Müssen die Christen aus den Nationen noch beschnitten werden und das Gesetz halten, um errettet zu werden?“ (s. Apg 15,1.5).
Wegen dieser Streitfrage kamen die Apostel und Ältesten in Jerusalem zusammen. Wie sachlich behandelten die Apostel und die Ältesten dieses Problem! Jeder der sich zu Wort Meldenden wurde langmütig angehört.
Zuerst redet Petrus, der seine Beurteilung mit den Worten auf den Punkt bringt: „Wir glauben, durch die Gnade des Herrn Jesus in derselben Weise errettet zu werden wie auch jene“ (V. 11).
Die Menge schweigt zunächst: Ruhe und Besonnenheit sind erkennbar.
Dann hören sie Barnabas und Paulus zu, die von Zeichen und Wundern unter den Nationen berichten, die Gott durch sie getan hat (V. 12). Auch sie können ausreden, ohne unterbrochen zu werden.
Schließlich zitiert Jakobus (der in der Versammlung von Jerusalem als Säule angesehen wurde) einige Verse aus dem Propheten Amos und gibt sein Urteil sachlich mit einem konkreten Vorschlag ab: Den aus den Nationen zu Gott Bekehrten keine Schwierigkeiten zu machen, ihnen vielmehr zu schreiben, sich von gewissen Dingen (von Hurerei usw.) zu enthalten.
Und der Heilige Geist bewirkt, dass alle erkennen: Das zitierte Wort Gottes ist die Lösung der Frage. Die Befolgung desselben dient dem Frieden und der Einheit.
Dem Feind wurde in einer brisanten Situation auf Gott gemäße Weise gewehrt: Keine Parteilichkeit ist erkennbar – keine Spaltungen entstehen.
Diese geistlichen Männer verfassen einmütig einen Brief, welcher den Nationen durch Paulus und Barnabas in Begleitung von Judas und Silas, die Führer unter den Brüdern waren, mitgeteilt werden soll. Diese kommen nach Antiochien hinab, versammeln die Menge und übergeben den Brief. Als Folge lesen wir von Freude, Trost, Ermunterung, Stärkung und Frieden (s. V. 30-35) unter den Geschwistern, die (wieder) einträchtig beieinander wohnen. Sie stehen unter dem Segen Gottes (s. Ps 133,1.3).
Was können wir tun, damit Konflikte sich nicht verschärfen? Fassen wir noch einmal zusammen:
Einträchtig beieinander zu wohnen und einander untergeordnet zu sein in der Furcht Christi (s. Ps 133,1; Eph 4,21), ist ein fortlaufender Lernprozess in der Schule Gottes. Demut, Sanftmut und Langmut sind uns nicht angeboren, sondern vielmehr eine Frucht der Wirksamkeit des Heiligen Geistes im Miteinander der Kinder Gottes.
Wir sind und bleiben Lernende! Manchmal ist das Lernziel nicht erreicht und neue Lektionen zur Wiederholung sind angesagt. Aber wer ist ein Lehrer wie Er? – Er fordert uns auf: „Lernt von mir! Denn ich binsanftmütig und von Herzen demütig“ (Mt 11,29).
Wenn wir bereitwillig dem Vorbild unseres Herrn folgen, stehen wir unter seinem Segen. Und der sollte uns wichtiger als alles andere sein!
Friedhelm Müller
Fußnoten: