Ein echter Christ stellt Gott keine Fragen. Schon gar nicht fragt er „warum“! Denn wenn wir Gott nach dem „Warum“ seines Handelns fragen, ändert Er nur einen Buchstaben, um uns zu antworten. Seine Antwort lautet dann „Darum“. So oder ähnlich lauten manchmal die Antworten, wenn in unseren Gesprächen das Thema auf die Fragen kommt, die uns auf unserem Glaubensweg beschäftigen.
Eine andere oft gehörte Meinung ist, dass Christen Gott nur nach dem „Wozu“ fragen dürften. Denn wenn wir Gott nach dem Ziel fragten, das Er mit seinem Handeln auf unserem Glaubensweg verfolgt, würde Er uns sicher antworten.
Aber stimmt das denn? Dürfen Christen wirklich keine Fragen haben? Oder ist etwas mit ihrem Glauben nicht in Ordnung, wenn sie Gottes Handeln nicht verstehen und deshalb Fragen in ihrem Herzen aufkommen?
Um es vorweg zu nehmen: Doch, Christen dürfen Gott Fragen stellen. Die Bibel ist voll von Begebenheiten, in denen Gläubige Fragen hatten und mit diesen zu Gott kamen.
Ein markantes Beispiel ist der biblische Bericht über Gideon. Es war eine schwere, entbehrungsreiche Zeit, in der dieser Glaubensheld lebte. Jahr für Jahr fielen die Feinde des Volkes Israel ins Land ein, zerstörten die ganze Ernte und raubten alles Kleinvieh sowie die Rinder und die Esel. Die Midianiter ruhten nicht eher, bis sie alle Lebensmittel der Israeliten vertilgt hatten. Nicht einen Krümel ließen sie dem Volk zum Verzehr übrig.
In dieser schrecklichen, notvollen Zeit schlägt Gideon eines Tages Weizen in der Kelter aus. Ein seltsamer Ort zum Ausschlagen des Weizens, war die Kelter doch dazu bestimmt, Weintrauben zu pressen, um Saft und Wein daraus zu gewinnen. Weizen wurde auf der Tenne ausgeschlagen. Dort wehte der Wind über die Arbeit und trennte die nahrhaften Weizenkörner von der für die Ernährung nutzlosen Spreu.
Doch die Kelter bietet Gideon einen gewissen Sichtschutz. An diesem Ort bemerkt der Feind seine Bemühungen, Körner für ein paar Brote zu gewinnen, nicht sofort.
Unbeobachtet bleibt Gideon aber dennoch nicht. Der Engel des Herrn erscheint ihm und grüßt ihn mit den Worten: „Der Herr ist mit dir, du tapferer Held“ (Ri 6,12).
Der Engel des Herrn ist kein geringerer als der Herr Jesus selbst. In dieser Gestalt eines Engels erschien Gott den Menschen zur Zeit des Alten Testaments. Doch Gideon erkennt in diesem Moment noch nicht, wer es ist, der ihn mit diesen Worten begrüßt. Und so stellt er seinem Besucher einige Fragen, die es in sich haben: „Bitte mein Herr, wenn der Herr mit uns ist, warum hat denn dies alles uns betroffen? Und wo sind alle seine Wunder, die unsere Väter uns erzählt haben, indem sie sprachen: Hat der Herr uns nicht aus Ägypten heraufgeführt? Und nun hat der Herr uns verlassen und uns in die Hand Midians gegeben“ (V.13).
Schauen wir uns die Aussagen Gideons einmal etwas genauer an. Zunächst erweist er dem Grüßenden Ehre, indem er ihn mit „mein Herr“ anspricht. Zugleich offenbart Gideon mit diesen Worten auch seinen Respekt dem unbekannten Gast gegenüber.
Doch bei aller Ehrfurcht und allem Respekt fordert Gideon doch Rechenschaft über diesen Gruß. „Wenn der Herr mit uns ist, warum hat denn dies alles uns betroffen?“, will er wissen. Dabei fällt auf, dass Gideon den an ihn persönlich gerichteten Segensgruß auf das ganze Volk bezieht und sich nicht über das Volk erhebt. „Schön, dass der Herr wenigstens mit mir ist, der Rest des Volkes ist mir egal“, hätte er ja auch denken können. Doch Gideon denkt gar nicht an sich. Die augenblickliche Situation ist für ihn vielmehr eine Angelegenheit zwischen Gott und seinem Volk. Für ihn steht fest, dass, wenn Gott mit seinem Volk wäre, es Israel gut gehen müsse. Aber es geht Israel nicht gut. Ganz im Gegenteil.
Und weil das so ist, fährt Gideon mit seiner Frage fort. „Warum hat dies alles uns betroffen?“ Gideon fragt hier gerade nicht nach dem Ziel, das Gott mit seinem Volk hat. Weil er wissen möchte, welchen Grund die Notlage des Volkes hat, fragt er Gott ohne Umschweife nach der Ursache. Ja, Gideon geht sogar noch weiter. Er erinnert Gott an die Wunder, die Er bei der Befreiung des Volkes aus der Knechtschaft Ägyptens getan hat. Gideon hat keinen Zweifel, dass Gott auch jetzt noch solche Wunder tun kann. Aber bisher hat Er keines getan, um sein Volk aus der Not zu retten und den jährlich wiederkehrenden Angriffen der Midianiter ein Ende zu bereiten. Dafür muss es einen Grund geben, ist Gideon sich sicher. Doch er kennt ihn nicht. Deswegen fragt er den Herrn danach.
Und ohne die Antwort abzuwarten, trifft er eine weitgehende Aussage, die im direkten Widerspruch zu dem Gruß ist, den ihm der Engel des Herrn zugerufen hat. Gideon ist überzeugt, dass Gott sein Volk verlassen und in die Hände der Feinde gegeben hat.
Die Antwort des Engels des Herrn ist erstaunlich: „Gehe hin in dieser deiner Kraft und rette Israel aus der Hand Midians!“ (V.14).
Wie kommt es, dass Gott Gideon nicht einfach mit „Darum“ antwortet, sondern ihm stattdessen diesen besonderen Auftrag zur Rettung Israels gibt? Weshalb tadelt der Herr Gideon nicht für seine Fragen?
„Gehe hin in dieser deiner Kraft.“ Gideons Fragen sind in den Augen des Herrn mehr als der Ausdruck eines schwachen Glaubens. So schwach dieser Glaube im Augenblick auch gewesen sein mag, so war er doch vorhanden, wie der weitere Verlauf der Geschichte erkennen lässt. Und die Fragen Gideons zeigen sein echtes Interesse am Volk Gottes. So konnte Gideon nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Fragen ein geeignetes Werkzeug in der Hand des Herrn sein.
Offensichtlich sind die Fragen, die Gideon bewegen, kein Hindernis dafür, dass er ein Werkzeug Gottes sein konnte. Entscheidend ist dabei nämlich die Herzenshaltung, in der Gideon seine Fragen vorträgt. Denn Gott sieht anders als der Mensch auf das Herz (s. 1.Sam 16,7). Er kennt unsere Herzen besser als wir selbst. Denken wir nur an die ersten Verse des 139. Psalms.
Drei wichtige Aspekte werden in den Worten Gideons deutlich:
Das Beispiel Gideons macht uns Mut, auch mit unseren Fragen zu dem Herrn Jesus zu gehen. Wenn uns dabei die gleiche Gesinnung kennzeichnet, die wir bei Gideon finden, dürfen wir darauf vertrauen, dass der Herr uns nicht abweisen wird.
Vielleicht werden wir seine Antwort nicht immer gleich verstehen. Vielleicht muss der Herr uns auch einmal eine Weile warten lassen, bis Er uns so antworten kann, dass wir es erfassen und tragen können. Doch egal wie, wir dürfen immer darauf vertrauen, dass unsere Fragen nicht ungehört bleiben und der Herr so antworten wird, wie es für uns am besten ist.
Gideon hat auch nicht sofort die ganze Tragweite dessen erkannt, was dort unter der Terebinthe Ophras seinen Anfang nahm. Der Herr hatte Geduld mit Gideon und ließ ihn im Glauben wachsen. Weshalb sollte Er dann mit uns ungeduldig sein?
Stefan Busch
"Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht."